Unternehmen stärken mit Soziokratie ihre Lebendigkeit und Agilität, verfügen über das Potential, rasch auf Veränderungen von außen zu reagieren und bieten kraftvolle Positionen für Führungskräfte, die sich als GastgeberInnen gelingender Kooperation und Zielorientierung verstehen.
Ein Unternehmen verliert seine wichtigsten Kunden, was tut der Eigentümer? Er beruft eine Betriebsversammlung ein, informiert über den Ernst der Lage und lädt die MitarbeiterInnen ein, Ideen für den Turn-Around des Unternehmens zu entwickeln. Der Eigentümer heißt Gerhard Endenburg, es geht um das Unternehmen Endenburg-Electronics und wir schreiben das Jahr 1969.
Hand aufś Herz: Wieviele Unternehmen, die wirtschaftlich ums Überleben kämpfen, kennen Sie, die in einer Krise auf interne Transparenz und Einbeziehung der MitarbeiterInnen in wichtige Entscheidungen setzen? Zurück zu Endenburg-Electronics: Gerhard Endenburg wählte für die Bewältigung der Unternehmenskrise die Augenhöhe mit seinen MitarbeiterInnen und entwickelte das Organisationsmodell der soziokratischen Kreismethode (SKM), kurz Soziokratie.
Warum nicht?
Doch warum zögern Führungskräfte auch heute noch, MitarbeiterInnen in die Lösungssuche und Bewältigung von Krisen einzubeziehen? Sich als Führungskraft mit einer Frage statt mit der Lösung zu zeigen, gilt in vielen Organisationen als Schwäche. Mögliche Ursachen dafür reichen von Misstrauen, ob MitarbeiterInnen wohl über genug Lösungskompetenz verfügen, über schlichte Unkenntnis, wie es gelingen kann, eine Gruppe gezielt in einen Dialog und effektiv durch die Schritte einer gemeinsamen Entscheidung zu führen, bis zu Ungeduld angesichts vermuteter ewiger und fruchtloser Diskussionen und schließlich bis zum Unbehagen bei dem Gedanken, die eigene Vorgehensweise begründen zu müssen.
Die Verwandlung beginnt
Wir brauchen heute immer öfter Lösungswege, die unterschiedliche Perspektiven parallel und zügig einbinden. Für die meisten Unternehmen ist eine grundlegende Transformation von Werten, Strukturen, Funktionen und Abläufen nötig, um Qualitäten wie Mitverantwortung, interdisziplinäres Denken und Entscheiden ernten zu können. Am Beginn einer soziokratischen Verwandlung steht fast immer die Schärfung des übergeordneten Organisations-Zieles. Die Aussagen zum Unternehmens-Sinn bilden eine zentrale Orientierung für die Grundsatzentscheidungen im Unternehmen.Schon in der Art, wie das gemeinsame Ziel entwickelt wird, erleben Führungskräfte und MitarbeiterInnen die Kraft und Effektivität einer moderierten Konsent-Entscheidung (1. SKM-Prinzip). Eine neue Entscheidungskultur entsteht: das Prinzip „Ober sticht Unter“ endet und der Managementkreis entwickelt das Unternehmensziel auf Augenhöhe, z.B. mit seiner nächsten Ebene. Die Leitung und jedeR im Kreis kann darauf vertrauen, dass es keine Entscheidung ohne ihn/sie gibt, muss aber bereit sein, den eigenen Standpunkt nachvollziehbar zu argumentieren.
Arbeiten im Kreis
Parallel formen sich Abteilungen und Bereiche zu Kreisen mit klaren Domains – den Entscheidungsbereichen – um. Das Arbeiten im Kreis (2. SKM-Prinzip) erweitert sowohl den Gestaltungs- als auch den Verantwortungsbereich von Organisationseinheiten und fordert Leitungen und Delegierte (3. SKM-Prinzip), ihre aktiven Beiträge zu einer gelingenden Koordination mit Nachbareinheiten zu leisten. Damit sind die Strukturen für eine gestärkte Selbstorganisation geschaffen.
In einem sorgfältig entwickelten Transformationsprozess begleiten wir unsere KundInnen dabei, ihre Unternehmens- und Leitungskultur mit stabilen neuen Prozessen der Entscheidung, Strukturierung und Ausrichtung sowie dem Trainieren neuer Rollen zu verwandeln. Mit wachsender Klarheit lässt sich auch der Verlust der alten Kontrolle leichter verdauen: Entlastung und Potenzialentfaltung winken als Belohnung am anderen Ende des Veränderungsprozesses.
Leitungsaufgaben
Statt weiterhin alleine für das Erreichen der Ziele zuständig zu sein wechseln Führungskräfte in ein neues Fach: Sie werden zu präsenten GastgeberInnen gelingender Grundsatzentscheidungen, sorgen für die klare Unternehmensausrichtung und leiten Kreise, indem sie die MitarbeiterInnen einladen, sich aktiv mit ihrer Perspektive einzubringen und Entscheidungen umzusetzen. Und die Leitungen sind weiterhin – allerdings kräftig unterstützt von und exzellent verbunden mit ihrem Kreis und dem gesamten Unternehmen – für das vereinbarte Kreisergebnis verantwortlich.
Die 4 Basisprinzipien der Soziokratischen Kreismethode (SKM)
- Das Prinzip des Konsent beschreibt den moderierten Prozess für Grundsatzentscheidungen, von der Informationssammlung über die Meinungsbildung bis zur Entscheidung im Konsent, die zustande kommt, wenn es keinen begründeten schwerwiegenden Einwand gibt.
- Das Kreisprinzip verlagert Verantwortung und Gestaltung so weit wie möglich in die einzelnen Organisationseinheiten. Der Kreis ist der Ort für Infoaustausch, Grundsatzentscheidungen und Entwicklung.
- Das Prinzip der doppelten Koppelung beschreibt die Verbindung jedes Kreises über die Funktionen Leitung und Delegation mit der nächst höheren Ebene.
- In der offenen soziokratischen Wahl wählen die Kreismitglieder jene Person, die für die Aufgabe am besten geeignet ist .
veröffentlicht in:
ksoe Dossier: Führung und Verantwortung in Organisationen, 1/2020
Literatur
Strauch/Reijmer: Soziokratie/ Vahlen , 2018
Waldhubel: Die Magie des Kreises/ Zeitschrift SEIN, 2009